Freitag, 28. März 2014

Laos - Erste Begegnungen

Als ich mich gerade in den Schlaf stürzen möchte, klopft es an der Tür.
Holgers Freundin "Neung" ist da, die gleich die gute Idee hat, ihre Schwester (deren Name mir gerade nicht einfällt) und dessen Mann Sommay zu besuchen. Ja, gleich jetzt.
Ok, auf eine Stunde mehr oder weniger kommt's jetzt auch nicht mehr an.

Ein Tuktuk bringt uns zu Schwester und Sommay, die in einer etwas besseren Wohngegend von Vientiane hausen; direkt neben einem buddhistischen Tempel.
Wenn ich "etwas bessere Wohngegend" schreibe, sollte dies keine falschen Vorstellungen erwecken.
Der luxusverwöhnte Durchschnittsdeutsche würde beim Anblick des Hauses und seiner Umgebung einen Schwächeanfall bekommen, anschließend schreiend davonrennen. Und bloß nix anfassen, geschweige denn etwas essen.
Luxus wird halt überall auf der Welt sehr eigen interpretiert.
Die Menschen leben hier sehr einfach: Oft gibt es ein Zimmer, das einfach allen Zwecken dient: Fernseher, Kühlschrank, Reiskocher, Moped, Bett - alles da, alles drin. Ist bei Real ja auch nicht anders.
Sommay und seine Frau beschaffen uns sofort Plastikstühle; gefühlte 200 Jahre alt. Wir nehmen sehr vorsichtig Platz, damit die guten Möbel nicht unter uns in tausend Stücke brechen. So ein "Falang" wiegt halt deutlich mehr als ein Laote.
Sommay entblößt grinsend ein paar schiefe Zähne; mehr sind's halt nicht.
In Deutschland würde man Sommay auf keine zwei Meter in seine Nähe lassen, den Notruf wählen, falls er sich weiter näherte.
Und das täuscht... Sommay ist Englischlehrer und Übersetzer; ein Kollege also, der auch für die Regierung arbeitet. Sommay zählt zum laotischen Mittelstand, den wir aus deutscher Sicht eher als Ansammlung von Slumbewohnern charakterisieren würden.
Weil wir unsere ganz eigenen Maßstäbe anlegen, die hier einfach nicht gelten.
Mit Sommay unterhielt ich mich sehr lange und sehr intensiv. Ein durch und durch intelligenter Mann, den ich eigentlich schon einen schöngeistigen Philosophen nennen möchte und der mir im Englischen mindestens ebenbürtig ist.
Wie sehr täuscht doch die Fassade...
Sommays Heim besteht aus zwei kleinen Gebäuden; in einem wohnt seine 18-jährige Tochter, im anderen unterrichtet er und wohnt dort mit seiner Frau. Dazwischen liegt ein kleiner Gang; die Küche, nein, die "Küche" - für deutsche Leser kleide ich den Begriff lieber in Anführungszeichen. Siehe Fotos... :)
Ein kleiner Garten liefert ständig frische Kräuter, alles ist grün und bunt mit Blumen und anderen Pflanzen, alles ist sehr, sehr einfach, aber gepflegt.
Allerreinster Luxus, wie sich eine Stunde später zeigen soll.
Wir unterhalten uns ein wenig, bekommen reichlich zu trinken, gewöhnen uns langsam ein bisschen an unsere doch sehr unterschiedlichen Englischdialekte.
Wir sind immer noch hundemüde, eher noch hundemüder.
Aber es geht nicht zurück zum Hotel - nein, jetzt sollen wir Neungs Eltern vorgestellt werden, die auf dem Land wohnen.
Eine gute halbe Stunde Fahrt in Sommays goldenem "Matiz" bringt uns in die Außenbezirke Vientianes. Und wenn ich "außen" schreibe, dann meine ich JWD, eher noch AdW. Hin und wieder müssen wir anhalten, weil ein paar Kühe, die nur aus Haut und Knochen bestehen, einfach nicht von der Fahrbahn verschwinden wollen. Und wenn ich "Fahrbahn" schreibe, meine ich eine Staub- und Sandpiste mit mondgroßen Schlaglöchern. Ich frage mich ernsthaft, warum das Auto nicht einfach in Stücke zerfällt. Voodoo, schwarze Magie oder reichlich Panzerband ?
Wir biegen von der "Hauptstraße" auf einen winzigen Feldweg ab, passieren ein kleines Rohbauhäuschen aus Bambusstangen, erreichen schließlich das Elternhaus Neungs: Ein paar grobe Mauern mit Wellblechdach darüber, mitten im Nirgendwo, mitten in absoluter Trockenheit. Fehlen nur noch diese seltsamen Rollbüsche, die man aus Western kennt.
Neungs Eltern begrüßen uns; ich kann mich nicht daran erinnern, jemals einen noch ausgemergelteren Mann gesehen zu haben. Sein Gesicht wirkt regelrecht grotesk, wie eine Maske aus einem Horrorfilm. Kann ein Mensch wirklich so ein Gesicht haben ? Er kann. Und er hat.
Er versteht kein Wort Englisch. Dafür verstehen wir kein Laotisch. Das gleicht sich also aus. Sommay übersetzt das Wichtigste.
Wir ziehen die Schuhe aus, betreten den Raum. Beton, auf dem ein paar Matten liegen.
Ein alter, winziger Fernseher, dessen Bild so verrauscht ist, dass man kaum etwas erkennen kann, ist der einzige Luxusgegenstand.
Auch Neungs Mutter ist wettergegerbt, ihre Gesichtshaut wirkt wie Leder. Allerdings ist sie nicht so eingefallen wie ihr Mann.
Wir drapieren uns um einen niedrigen Tisch, sofort erscheinen wie aus dem Nichts Gläser mit Eis und "Beerlao", dem absoluten Nationalgetränk Laos', das immer, überall und von jedem konsumiert wird. Vom kleinen Kind bis zum Greis, in geselliger Runde wie beim Autofahren.
Ja, es ist Bier. Ja, es hat "Prozente". Ja, beim Autofahren.
Beerlao schmeckt mild; beim ersten Schluck ein klein wenig wie König Pilsener, danach eher wie Veltins oder Jever.
Ich bin kein Bierkenner; aber es lässt sich gut trinken.
Nur halt nicht immer und überall. Ablehnen geht aber nicht, wenn man den Gastgeber nicht beleidigen will.
Wir beleidigen nicht.
Die beiden Frauen verschwinden in der Küche, nein, "Küche". Das hatten wir ja schon. Wir drei Kerle bleiben im Wohnzimmer zurück, rauchen und trinken Beerlao. Mein Gott, was bin ich müde...
Neungs Vater redet auf Laotisch auf uns ein, wir verstehen nichts, machen aber ein freundliches Gesicht. Wenn der Vater lacht, lachen wir mit. Nicht aus Gefälligkeit - er hat ein so offenes Lachen, dass man einfach mitlachen muss; es geht gar nicht anders.
Zähne hat er noch ein paar; sehr lange Zähne, dafür sehr wenige. Er ist 75.
Nach einer Weile erscheinen die Frauen wieder; mit riesigen Töpfen, Tellern und Blechlöffeln wie im Chinarestaurant, nur eben aus Blech. Und mit einem geflochtenen Behälter, in dem traditionell Klebreis aufbewahrt und gereicht wird. Der kleine Korbtisch biegt sich vor Essen; unmöglich, das alles zu schaffen. Es gibt Huhn, Gemüse, vollkommen undefinierbares Fleisch und zwei Schüsselchen - eine scharfe Soße, eine scharfe Paste.
Schrieb ich "scharf" ? - Ich neige zu maßlosen Untertreibungen. Sagen wir's so: Diese Soßen oder Pasten würden bei einem Durchschnittsdeutschen den sofortigen Tod durch inneres Verbrennen bewirken.
Wir schlagen uns wacker; und obwohl wir schon reichlich richtig scharfe Sachen gekostet haben, dosieren wir hier sehr, sehr vorsichtig.
Gegessen wird so: Man nimmt eine Handvoll Klebreis aus dem Flechtkorb, drückt ihn mit den Fingern ordentlich zusammen, tunkt den Reis in eine der Soßen oder Pasten, dazu nimmt man dann ein Stück Fleisch oder Gemüse. Oder beides.
Mit dem Fleisch habe ich so meine Schwierigkeiten; man verarbeitet einfach alles, nicht nur die "guten" Teile eines Tieres, sondern alles. Und wenn ich "alles" schreibe, meine ich ALLES.
Nicht so ganz das Richtige für eine "Fimmelfutt" wie mich, die bei Sehnen, "Lipplapp" oder Fett am Fleisch sofort das Skalpell ansetzt. Aber ein paar Stücke bekomme ich hinunter.
Nicht einmal die Hälfte des Essens schaffen wir, bis wir wirklich pappsatt sind. Dann erfahren wir, dass dies nur der erste Gang war.
Mehr wird aufgefahren; "Laap" (oder Laab oder Larb oder wie auch immer), das laotische Nationalgericht, ist natürlich auch dabei.
Laap besteht aus Gemüse, ein paar Mungbohnensprossen und Fleisch. Das Fleisch besteht aus allem. Auch aus Pansen oder Darmteilen.
Mir schmeckt's nicht so. Aber es kommt noch deutlich besser...
Ich höre so etwas wie "duck blood", also Entenblut, aus der Küche. Na, was das wohl sein wird ?
Ich sehe es kurze Zeit später. Es gibt Blutsuppe.
Nein, keine Suppe, in die man etwas Blut gekippt hat. Eher ein fast massiver Blutklumpen mit einer Konsistenz wie sehr fester Naturjoghurt, der die Form des Tellers angenommen hat.
Ich zögere. Neungs Vater grinst und macht sich mit Heißhunger über die rote Leckerei her.
Endlich ringe ich mich dazu durch, ein Stückchen mit dem Löffel abzutrennen und zu schlucken. Nein, schmeckt mir nicht. Was mich aber auch nicht weiter verwundert.
Etliche weitere Spezialitäten wandern über den Tisch und teilweise in unsere Bäuche, ein Gang folgt dem anderen. Wir rätseln, wo unsere Körper die Essensmassen mittlerweile unterbringen - da kann einfach kein Kubikmillimeterchen Platz übrig sein.

Es wird Zeit für ein Getränk für echte Männer. Lao-Whisky.
Eine kleines Plastikflasche erscheint neben dem Tisch. Darin eine farblos-trübe Flüssigkeit, auf dem Boden eine dunkle, undefinierbare Masse. Sieht aus wie eine Wasserflasche, die man im Verlauf einer wüsten Party in Ermangelung eines Aschenbechers mit Zigarettenkippen, Asche und anderen appetitlichen Dingen gefüllt hat.
Nein, ganz anders: Bienenlarven, also Maden, dümpeln da auf dem Flaschenboden herum. Ja, Maden.
Neungs Vater schüttelt alles gut durch, damit man auch ja genug von den guten Dingen abbekommt.
Holger und ich nehmen einen Schluck. Es schmeckt wie Holzbeize mit einem seltsamen organischen Beigeschmack.
Ich belasse es bei einem Schluck. Nicht so ganz mein Ding.
Holger kann nicht mehr, legt sich auf eine Matte und pennt sofort weg.
Sommay verabschiedet sich, da er noch unterrichten muss. Er käme aber gegen 19 Uhr wieder, verspricht er.
Es ist Mittag.
Mehrere Stunden lang höre ich Neungs Vater zu, der einfach nicht wahrhaben will, dass ich kein Laotisch verstehe. Wir trinken Beerlao und rauchen, er erzählt. Manchmal habe ich kleine Halluzinationen, sehe Bewegungen aus den Augenwinkeln oder höre Dinge, die es nicht gibt. Der Schlafentzug.
Ich stehe irgendwann auf und gehe nach draußen, mich etwas umschauen. Neungs Vater kommt mit, nimmt mich an der Hand und zeigt mir seinen Besitz, der aus ausgetrocknetem Boden mit etwas Gestrüpp darauf besteht.
Dann gehen wir wieder ins Haus, trinken Beerlao und rauchen, er erzählt auf Laotisch. Ich glaube, er hat während der französischen Besatzung einen französischen General getötet. Zumindest interpretiere ich seine Gesten so. Und er hasst Falangs, also Ausländer. Allerdings keine Deutschen. Oder zumindest nicht mich.
Noch mal Glück gehabt.
Aber besser nicht einschlafen...

Holger kommt wieder zu sich, verkündet, dass ihm die paar Stunden Schlaf richtig gut getan hätten. Das freut mich, der ich immer keinen Schlaf bekommen habe, natürlich immens.
Wir schielen immer wieder auf die Uhr; es will einfach nicht 19 Uhr werden. Wir sehnen uns Sommays goldenen Kleinwagen herbei, der wie ein Rennwagen röhrt.
Sommay trifft endlich ein. Nein, es geht nicht zurück ins Hotel; erst muss noch ordentlich getrunken werden. Beerlao und der Madenwhisky. Und Essen gibt's auch dazu. Und wieder reichlich, reichlich, reichlich.
Diesmal wieder Laab, eine Suppe, über deren Zutaten ich nicht nachdenken möchte, weil sie mir schmeckt, dazu gekochte Entenfüße, mit Adern oder Dünndarm umwickelt; so genau kann man das nicht erkennen.
Wir nehmen ein paar Happen, trinken etwas Bier, gehen dann ein Stückchen über die Brachflächen, also die Felder.
Neungs Vater ist Köhler, verdient seinen Lebensunterhalt also mit der Herstellung von Holzkohle. Wir schauen uns den Kohlemeiler an, der etwa 100 Meter vom Haus entfernt an einem kleinen Wasserloch liegt. Interessant, das Ding. Komplett aus Lehm gebaut. Viel mehr gibt's allerdings nicht zu sehen.
Mich drängt es an einen gewissen Ort; das viele Bier will einfach heraus. Bisher habe ich es vermieden, den Hauptraum des Hauses zu verlassen, habe die Küche noch nicht gesehen, habe die Toilette noch nicht erspäht.
Ich muss durch die Küche. Die Küche liegt außerhalb des Hauses, besteht aus ein paar Brettern, einer Feuerstelle und reichlich Unrat. Bei uns würde man das für eine wilde Müllkippe halten. Die Toilette - ach, schauen Sie sich einfach die Fotos an. :)
Langsam kommt Aufbruchstimmung auf, endlich !
Zuvor aber bekommen wir noch eine Auszeichnung: Ein dünnes geflochtenes Bändchen am Handgelenk, das uns als geschätzte Freunde der Familie auszeichnet.
Und dazu übersetzt Sommay, Neungs Vater wünscht sich, dass ich bei ihm einziehe.
Vermutlich, weil man sich mit mir so gut unterhalten kann. :)

Die Fahrt zurück zum Hotel nehme ich als Randerscheinung wie durch einen dichten Nebel wahr. Irgendwie schaffe ich es bis nach oben, irgendwie bekomme ich die Tür auf.
Dann falle ich aufs Bett, bin schon in der Luft eingeschlafen.
Licht aus.

Es gibt ordentlich was auf die Finger

Eine Küche

Noch eine Küche


Lecker Blutsuppe

Whisky mit Madeneinlage

Ein Holzkohlemeiler

Relativ karge Landschaft

Fröhliche Runde mit alten Bekannten

Klotür

Hockklo mit manueller Spülung

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